10 technologische Innovationen in einer Uhr vereint. Die Manufaktur Ulysse Nardin präsentiert ihre Vision von der Zukunft der mechanischen Uhr.

Pioneering.
Ulysse Nardin hat in der Vergangenheit bereits zahlreiche Weltneuheiten präsentiert, von denen einige die Uhr „Freak“ als Plattform nutzten. Der „Freak“, die erste Uhr mit einer Hemmung aus Silizium, ging 2001 in den Handel. Es folgten die erste Spirale aus Diamant sowie die „Dual Ulysse“-Hemmung aus Nickel-Phosphor (NiP) und Silizium (2005). Die erste Uhr mit einer Hemmung aus synthetischem Diamant ging 2005 in den Verkauf. Inzwischen ist es sogar gelungen, Hemmungsbauteile aus Silizium mit einer Schicht aus Diamant zu überziehen. Die Entwicklung der „Freak“-Familie illustriert anschaulich die technologischen Fortschritte von Ulysse Nardin.

Der neueste Streich von Ulysse Nardin: Innovision
Die Herstellung von Uhrwerkteilen beschränkt sich heute wie vor hundert Jahren im Wesentlichen auf die präzise maschinelle Bearbeitung von Messing, Stahl und Rubinen, laufend perfektioniert. Ulysse Nardin ging immer wieder neue Wege und befasste sich mit neuen Technologien und Materialien, die auch in anderen Bereichen der mikrotechnischen Industrie erforscht oder eingesetzt wurden. Es ist letztlich die Offenheit, auch Anwendungen ausserhalb der traditionellen Uhrmacherei anzuschauen, die Ulysse Nardin heute in Sachen Innovation ganz weit vorne positioniert.

Riesiges Potenzial zeigte sich in der Technologie der selektiven Photolithographie, da mit diesen Verfahren vollkommen neue Formen realisiert werden konnten, die mit herkömmlicher Produktion nicht machbar wären. Mit der Beherrschung dieser Technologien sichert sich Ulysse Nardin gleichzeitig die strategisch wichtige Versorgung mit modernen, leistungsfähigen Uhrwerkkomponenten. Die beiden Technologien „DRIE“ (Deep Reactive Ion Etching, Ionen-ätzverfahren) und „LIGA“ (Lithografie, Galvanik und Abformung) ermöglichen völlig neuartige Verfahren bei der Herstellung von Uhrwerkteilen und völlig neue Möglichkeiten bei der Gestaltung derselben. Die „InnoVision“ vereint nun mehrere dieser neuen Möglichkeiten in einer Uhr, einem eigentlichen Technologieträger.

Ein mechanisches Uhrwerk ohne Schmierung Öl, Schmierung oder Beschichtung
Ein Uhrwerk, das quasi unbegrenzt lange und ohne Wartung funktioniert, ist der Traum der ganzen Branche. Ulysse Nardin ist nicht die einzige Manufaktur, die an einer Lösung des Problems arbeitet. Jaeger-Le Coultre verfolgt den Ansatz der Aufbringung einer dauerhaften, trockenen Schmiermittelschicht auf einer Reibfläche und leistet intensive Arbeit am Schwingsystem mit dem Ziel einer grösseren Gangpräzision. Nivarox hat bereits anfangs 70er Jahre „Lubrifar“ vorgestellt, eine Schmierschicht aus Molybdänsulfid (MoS2). Diese Technik wurde unterdessen um zahlreiche andere Beschichtungen erweitert und kommt teilweise auch zum Einsatz. Tissot sorgte mit Astrolon für grosses Aufsehen: Hier lief Stahl direkt auf Kunststoff – völlig ohne Schmierung. Der Kampf gegen sich verflüchtigende Schmiermittel wird also schon lange geführt.

Die Lösung von Ulysse Nardin ist allerdings radikal anders. Sie vereint die Präzision des Silizium-Ätzverfahrens mit der Formhaltung und mechanischen Festigkeit von Nickel (im LIGA-Verfahren produziert), der Elastizität und Trocken-Gleitfähigkeit auf Stahl von Silizium. Dies geschieht mit einem Mehrschichten-Verfahren, entwickelt von der Firma Sigatec.

Einer der Vorläufer der Innovision: Freak DiamSil
Kugelgelagertes Federhaus
Der völlige Verzicht auf Schmierung ist nur eine Facette der „InnoVision“.
In der zweiten Generation des „Freak“ dreht sich das Federhaus in einem Kugellager. Resultat ist eine bessere Führung sowohl in radialer als auch in axialer Richtung bei gleichzeitiger Reduktion der Reibungsverluste. Hier handelt es sich wohlgemerkt nicht um eine Exklusivität: Kugellager sind beim Bau von Uhrwerken unter anderem zur Lagerung von Aufzugsrotoren sehr gebräuchlich. Ulysse Nardin verwendet solche Lager zum Beispiel im Astrolabium seit 1985. Wenn die Materialpaarungen in solchen Lagern sorgsam auf Drehgeschwindigkeiten und Anpressdrücke abgestimmt sind, kann man auf eine Schmierung verzichten.

„Dual Ulysse“-Hemmung
Diese schmierungsfreie Hemmung mit ihren einzigartig geformten Zahnrädern ist seit 2005 auf dem Markt. Sie kann in Silizium, Nickel-Phosphor, Diamant und diamantbeschichtetem Silizium (DCS) hergestellt werden. Für die Verwendung in der „InnoVision“ wurde Silizium gewählt. Diese Hemmung verfügt auch über einen bemerkenswert kleinen Hebewinkel (31 Grad). Bei der „Dual Ulysse“-Hemmung handelt es sich um eine exklusive Erfindung von Prof. Ludwig Oechslin und Lucas Humair. Diese leistungsfähige Hemmung wird auch im 2006 vorgestellten Kaliber „UN-160“ eingesetzt, das das Jubiläumsmodell „Anniversary 160“ antreibt.

Stosssicherung und Spirale in Grossansicht

Lagersteine aus Silizium
Die einfachste und geradlinigste Methode, vom niedrigen Reibungskoeffizienten des Siliziums zu profitieren, besteht darin, die traditionellen Rubinlager mit ihren Ölnuten gegen Lagersteine aus Silizium auszutauschen – ohne Ölnuten. Man könnte die Rubine auch durch andere Materialen ersetzen: Kunststoff (POM), Keramik, Bronze. Man kann auch die Reibflächen mit PVD- oder CVD-Verfahren beschichten oder mit nicht flüchtigen Schmierstoffen belegen. Einige Mitbewerber haben dies mit Erfolg getan. Ulysse Nardin hat sich hingegen für den direkten Kontakt der Stahlachsen mit Siliziumoxid entschieden.

Spirale und „Dual-Ulysse“-Hemmung

Präzision des DRIE-Verfahrens und Vorteile des Reibverhaltens unter einen Hut gebracht
Die exakte Positionierung eines Drehpunktes ist von grosser Bedeutung. Durch die Fertigung von Werkbrücken aus Silizium mit bereits integrierten Lagerbohrungen hat Ulysse Nardin zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Die ganze Uhrenbranche kann letztlich von diesem Ansatz profitieren, weil diese Technik in Kürze auch in konventionellen Uhrwerkkonstruktionen zur Anwendung kommen wird. Die Präzision in der Positionierung der Lagerbohrungen ist bei Werkbrücken aus monolithischem Silizium fünf Mal höher als bei gefrästen Messingbrücken mit eingepressten Rubinlagersteinen. Darüber hinaus ist der Konstrukteur nicht durch den grossen Aussendurchmesser eines Rubins mit Ölnut eingeschränkt und kann Lagerbohrungen sehr viel näher an den Rand einer Brücke setzen.

Verstärkte Siliziumbrücken
Bisweilen müssen eine Brücke oder eine Platine höhere mechanische Belastungen aushalten als Silizium verträgt. In diesen Fällen kann die Brücke verstärkt werden. Eine nahe liegende Lösung besteht darin, einen Teil der Brücke aus Messing oder Stahl zu fertigen und ein „Sandwich“ zu bilden, in dem das Metall die Last aufnimmt. In Kooperation mit den Hi-Tech-Firmen Sigatec und Mimotec ist es Ulysse Nardin gelungen, eine bessere Lösung zu finden: Eine aus zwei Materialien zusammengesetzte Brücke, zu deren Herstellung die Verfahren DRIE und LIGA in bislang einzigartiger Weise kombiniert werden.

Ein bereits bearbeiteter Silizium-Wafer bildet die Grundform für den LIGA-Prozess, bei dem ein „siliziumgenau“ gefertigter Kern mit einer robusten Nickelschicht belegt wird. Die Abweichung von der fotolithografisch hergestellten Urform bewegt sich in der Grösenordnung von 2 Tausendstel Millimeter. Der fotolithografische Prozess garantiert die Präzision, das Silizium liefert das gute Reibungsverhalten und Nickel steuert seine mechanische Festigkeit bei. Diese Weltpremiere ist ein Beispiel für die gelungene Kombination der positiven Merkmale verschiedener Materialien ohne die Übernahme ihrer negativen Eigenschaften.

Die Elastizität von Silizium sinnvoll nutzen
Dass Silizium auf mechanische Krafteinwirkung mit hoher Elastizität reagiert, ist allgemein bekannt. Ebenso das hervorragende Trockenreibungsverhalten. Die Ingenieure von Ulysse Nardin haben 1 und 1 zusammengezählt und eine Brücke entwickelt, die starke Erschütterungen wie ein Stossdämpfer von der Unruh fernhält. Eine klassische Stosssicherung besteht aus fünf Mikro-Elementen. Beim Ulysse Nardin-Stossdämpfer aus Silizium werden die Funktionen von Feder, Lagerstein und Deckstein in einem einzigen einteiligen Element vereint – eine frappante Vereinfachung eines komplexen Mechanismus.

Die Enden der Unruhwelle drehen sich direkt in der Vertiefung in der Mitte der Siliziumscheibe. Der wie eine Spirale geformte äussere Teil dieser Scheibe ist elastisch und absorbiert den Stoss. Die Rückführung in die Ausgangsstellung wird nicht gebremst, weil keinerlei Reibung auftritt; die Siliziumfeder nimmt lediglich wieder ihre Ruheposition ein. Bei einer klassischen Stossdämpfung muss die Feder den Lochstein, der sich im Lager verschiebt, wieder gegen Reibungswiderstand in seinen konischen oder flachen Sitz zurückführen.

Nutzung der elastische Eigenschaften von Silizium in Spiralfedern
Viele Tüftler haben versucht, bei der Herstellung von Unruhspiralen die Legierung Nivarox durch andere Varianten des Grundmaterials Invar zu ersetzen. Ulysse Nardin arbeitet seit 2000 an eigenen Lösungen, und hat Unruhspiralen in Diamant, in Silizium und in diamantbeschichtetem Silizium (DCS, diamond coated silicon) entwickelt. Die Spiralfeder aus Silizium erwies sich dabei gute Lösung und der Herstellungsprozess als beherrschbar.

Neue Verfahren
Während die Fertigungs- und Verarbeitungsmethoden von Silizium auf dem Gebiet der Mikroelektronik in den letzten 50 Jahren kontinuierlich weiter entwickelt wurden, stecken die entsprechenden Verfahren auf dem Gebiet der Mikromechanik noch in ihren Kinderschuhen. Die Firma Sigatec ist äusserst aktiv in der Entwicklung und Perfektionierung eines Produktionsverfahrens, das die Herstellung von Mikro-Bauteilen in einem Stück erlaubt, wo nach klassischer Methode mehrere aufwändig zu montierende Einzelteile nötig sind.

Das Plateau der Unruh beispielsweise scheint auf den ersten Blick ein triviales Bauteil zu sein. Dabei handelt es sich in Wirklichkeit um ein Präzisions-Drehteil, das einen zusätzlichen Stanzvorgang erfährt und abschliessend mit einem präzise geformten Stift aus synthetischem Rubin besetzt wird, den nur wenige Firmen herzustellen in der Lage sind. Dank des von Sigatec optimierten beidseitigen Bearbeitungsverfahrens verfügt Ulysse Nardin über ein aus einem Stück gefertigtes Plateau von höchster Präzision.

Auch der Wechsler und Sicherheitsstift der „Dual Ulysse“-Hemmung ist mit herkömmlichen Methoden schwierig zu fertigen. Dank des neuen beidseitigen Bearbeitungsverfahren kann das Bauteil in einem Stück hergestellt werden, und dies ohne Nacharbeit am Sicherheitsstift. Wie beim Anker der Schweizer Ankerhemmung ist die Ausrichtung des Sicherheitsstifts von Ausschlag gebender Wichtigkeit für eine gute Funktion. Diese Ausrichtung wird durch das DRIE-Ätzverfahren sichergestellt; die einzige mögliche Fehlerquelle liegt in der Positionierung der Ätzmasken. Es ist keinerlei Nacharbeit nötig.

Die Möglichkeit zur Bearbeitung auf zwei Ebenen von derselben Seite ist das dritte Beispiel für die Weiterentwicklung des DRIE-Verfahrens. Ulysse Nardin stattet seine Uhr „InnoVision“ mit einem aus einem Stück gefertigten Ankerrad samt Trieb aus. Normalerweise bestehen Uhrwerksräder aus einem Zahnrad aus Messing und einer eingepressten oder vernieteten Stahlachse mit einem kleineren Trieb. Bestimmte Mechanismen erfordern sogar eine formschlüssige Verbindung (Indexierung) zwischen Zahnrad und Trieb. Die Herstellung einer Rad-/Trieb-Einheit in einem Stück ist demnach ein grosser Vorteil. Im Uhrwerk des „Freak“ besteht keine technische Notwendigkeit für eine solche Rad-/Trieb-Einheit. Das Verfahren wurde dennoch gewählt, um nur einen Typ Ankerradtrieb für beide Räder zu haben – und um die Methode zu demonstrieren. Zweifellos werden sich viele Uhrwerkskonstrukteure sehr für diese Weltneuheit interessieren.

Die „InnoVision“ von Ulysse Nardin – Technologieträger erster Güte
Diese Uhr ist eine Synthese aller dieser technischen Entwicklungen. Die verarbeiteten Materialien und angewandten Technologien sind weder Gimmicks noch Selbstzweck, sondern haben eine fundierte technische Berechtigung. Es geht nicht allein darum, auf die Schmierung verzichten zu können, die Präzision und die Vereinfachung in der Fertigung zu nutzen, sondern um die Kombination aller oben beschriebenen Verfahren und Techniken. Die Innovision ist auch ein Sinnbild für die Dynamik, die zur Zeit in der Uhrenbranche herrscht. Einige Firmen entwicklen wirklich neue Konzepte und machen nicht einfach den x-ten Aufguss längst vorhandener Ideen und alter Muster. Zehn Innovationen gleichzeitig wurden in der „InnoVision“ verwirklicht – ein wahrlich visionäres Produkt.

Bilder ©Ulysse Nardin