Der gelernte Kaufmann Rolf Schnyder wurde 1935 in Zürich geboren und hat eine abenteurliche Karriere hinter sich . Er lebt heute 6 Monate im Jahr in Malaysia. Den Rest verbringt er in der Schweiz und auf Reisen zu seinen Kunden auf der ganzen Welt. Schnyder übernahm 1983 die Traditionsfirma Ulysse Nardin und machte sie in den letzten 20 Jahren zu einer der innovativsten Firmen der gesamten Uhrenbranche.Lesen Sie hier das Interview, das der vielbeschäftigte Schnyder „Tick different“ freundlicherweise gewährte.

Tick different: Als Sie sich entschieden, Ulysse Nardin zu übernehmen – spielte da ein Bezug zur Seefahrt für Sie eine Rolle?
Rolf Schnyder: „Eigentlich nicht – ich war nie ein angefressener Nautiker. Ich denke, dass man das „in den Genen“ haben muss – vielleicht so wie bei den Campern. Wassersport bestand für mich vor allem aus Wasserski fahren. Den Ausschlag, Ulysse Nardin zu übernehmen gab für mich viel mehr, dass es nicht sein durfte, dass eine derart traditionsreiche Firma einfach verschwinden sollte. Zudem war es während vielen Jahren für jemanden, der in der Uhrenbranche arbeitet, nicht zu übersehen, dass Ulysse Nardin ständig diese Präzisionswettbewerbe gewann. Als ich hörte, dass die Firma zu verkaufen war, war mir darum sofort bewusst, dass man auf Basis dieser Geschichte und dem vielen Know-how etwas ganz tolles machen kann.“

Tick different: Um bei der Tradition anzuknüpfen – Ihre Firma wurde mit den Marine Chronometern weltberühmt. Wird es je wieder einen geben?
Rolf Schnyder: „Die Marine Chronometer sind heute ausserordentlich gesuchte Sammlerstücke. Natürlich wäre es verlockend, wieder solche herzustellen. Technisch wäre das auch absolut machbar, aber die Preise würden derart hoch, dass sich das wirtschaftlich kaum rechnen würde.“

Tick different: Ihre Firma hat die Fachwelt in den letzten Jahren mit aussergewöhnlichen Entwicklungen immer wieder aufs Neue verblüfft. Was können denn die Freunde der nautischen Uhr in nächster Zeit von Ulysse Nardin erwarten?
Rolf Schnyder: „Wir haben natürlich noch viele Entwicklungen und Neuheiten in der Pipeline, die sicher auch für Furore sorgen werden. Aber: Wenn man die Pipeline anbohrt, dann läuft sie aus – darum werde ich Ihnen hier nicht verraten, was kommt. Seien Sie aber gespannt – es lohnt sich. Unsere Marine-Linie haben wir 1996 anlässlich des 150. Geburtstags mit dem Erscheinen des „Marine Chronometer 1846″ lanciert, der Hommage an unsere Vergangenheit. Seither haben wir diese Marine Kollektion laufend ergänzt und ausgebaut, unter anderem mit Chronographen und Tauchermodellen. Diese Tradition werden wir sicher laufend weiterführen.“

Tick different: Man hört oft den Begriff „Manufaktur“ für Uhrenfirmen, die alles von A-Z selber produzieren. Gehört Ulysse Nardin dazu?
Rolf Schnyder: „Mit dieser Bezeichnung wird sehr viel Verwirrung gestiftet. Wozu soll ich jede Schraube selber machen? Wir konzentrieren uns lieber auf die Entwicklung und die Eigenproduktion von Schlüsselkomponenten. Ein eigenes Uhrwerk von A-Z selber zu entwickeln ist eine enorm komplexe Angelegenheit und kann viele Jahre dauern. Viel können Sie heute am Computer simulieren, aber die Wahrheit kommt erst im Langzeitbetrieb ans Licht. Die Erfahrungen aus dem Kundenservice beispielsweise zeigen, wo Schwachpunkte liegen können. Daraus muss man lernen und so die Konstruktionen laufend anpassen. Bei unserem Ewigen Kalender „GMT Perpetual“ zum Beispiel ist fast kein Teil mehr so, wie es bei den ersten Prototypen gebaut wurde. Aus diesen Entwicklungsarbeiten – bei denen wir notabene auch mal Lehrgeld bezahlen mussten – haben wir enorm viel gelernt. Darum habe ich auch keine Hemmungen, uns als Manufaktur zu bezeichnen.

Tick different: Sind Sie denn so nicht auch abhängig von der ETA? Wie steht es um die Autonomie bei den Werken?
Rolf Schnyder: „Wie bei vielen anderen Firmen auch basieren unsere Werke zum Teil auf Rohwerken der ETA (Werkproduzent der Swatchgroup). Diese haben den Vorteil, dass sie zu erschwinglichen Preisen sehr viel Qualität bieten und sich sehr gut dafür eignen, interessante eigene Modifikationen und Modulaufbauten zu realisieren. Die neue Politik der ETA, dass sie mittel- und langfristig nur noch komplette Werke liefern will, hat dafür gesorgt, dass viel Bewegung in diesen Markt kam und mehrere Konkurrenten daran sind, Werke zu entwickeln.
An der Baselworld 2006 haben wir – anlässlich des 160. Geburtstags der Firma – unser eigenes Basiskaliber vorgestellt, das mit einer revolutionären Hemmung ausgestattet ist. Es ist grundsätzlich dafür geeignet, mir verschiedenen Komplikationen ausgerüstet zu werden, wie wir sie bereits jetzt herstellen. Beispiele sind Kalenderfunktionen, Gangreserveanzeigen oder Funktionen im Zusammenhang mit verschiedenen Zeitzonen. Wir werden sukzessive die verschiedenen Modelle unserer Marke mit diesem Werk ausstatten.“

Tick different: Viele Firmen der so genannten „Haute Horlogerie“ wurden in den vergangenen Jahren von grossen Investorengruppen wie Richemont oder LVMH übernommen – wann wird Ulysse Nardin zu einer dieser grossen Gruppen gehören?
Rolf Schnyder: „Wir sind finanziell unabhängig – und darum an keiner Börse zu kaufen. Ich habe jeden Tag enorm viel Spass mit dieser Firma, wir haben ein gesundes Wachstum, eine grossartige Crew. Wie bereits angetönt haben wir auch tolle Projekte und Entwicklungen am Laufen. Die vielen Investitionen der letzten Jahren tragen schöne Früchte. Warum also sollte ich Ulysse Nardin verkaufen?
Die neuen Märkte in Russland, in der Ukraine, in Asien sind faszinierend und es bieten sich dort enorme Möglichkeiten. Wir haben beispielsweise kürzlich in der ukrainischen Hauptstadt Kiew bei der Eröffnung der ersten reinen Ulysse Nardin-Boutique am Eröffnungsabend sämtliche Uhren, die ausgestellt waren, verkauft. So etwas habe ich in meiner langen Karriere noch nie erlebt. In der Ukraine gelten wir zum Beispiel als Nummer 1 bei den Luxusuhren. Uhrenkenner und -sammler aus der ganzen Welt schätzen unsere Produkte. Täglich erhalten wir E-Mails von begeisterten Kunden. Es gibt also keinen Grund, aufzuhören.“

Tick different: Besten Dank, Herr Schnyder, für dieses Gespräch.